IKEA und AI

Vor einiger Zeit benötigten wir ein neues Bett. Es sollte eine harte, langlebige Matratze haben, für die wir auch gerne mehr Geld ausgeben wollten. Möbel kaufen ist so eine Sache. Einige Erfahrungen mit Lieferfristen und seltsamen Designs haben dazu geführt, dass wir bei Möbeln IKEA immer als erstes ansteuern. Obwohl es in der Nähe auch andere grosse Möbelhäuser gibt, besuchen wir diese nicht mehr. Wir finden bei IKEA immer etwas passendes.

Nach einigem Probeliegen auf den drei verfügbaren Matratzentypen, entschieden wir uns für das härteste Modell und ein gut designtes Bett, alles konnten wir gleich mitnehmen und zu Hause am gleichen Tag aufbauen. Seitdem schlafen wir bequem und in angenehmer Härte auf einem schlichten, schwedischem Bett.

Vor einem halben Jahr besuchten wir die Schwiegereltern. Dort war es ebenfalls Zeit für neue Matratzen für das eigene Bett und die der Gäste. Gesucht war ebenfalls eine harte, langlebige Matraze, die auch gern etwas mehr kosten durfte. Hier gibt es kein IKEA und keine grossen Möbelhäuser. In der Stadt gibt es statt dessen eine Zone, wo sich einige auf Betten und Matratzen spezialisierte Läden angesiedelt haben - es gibt dort auch Ansammlungen von anderen Läden, alle mit einer bestimmten Spezialisierung. Fliesen neben Fliesenladen, Elektro neben Elektroladen und so weiter. Ganze Strassen geht das so. In Sachen Matratze wurde man wurde schnell fündig, einmal die Strasse runterlaufen, einige Läden besuchen und das beste Angebot annehmen. Die Matratzen sollten dann in einigen Tagen geliefert werden, eine Nacht auf den neuen Matratzen zu schlafen war nicht mehr möglich.

Jetzt besuchen wir die Schwiegereltern wieder und wir waren begeistert. Die neue Matratze ist um Längen härter und bequemer als die von IKEA.


Vor einiger Zeit las ich hier mehr oder weniger, dass ein LLM aufgrund seines Aufbaus immer nur den statistisch am besten passenden Mittelwert von Wörtern zu einem Thema bzw. Prompt liefern kann. Es liefert weder Aussergewöhnliches noch Kreatives noch Enttäuschendes noch Unpassendes. Das LLM mutet so bequem an, dass man nach einiger Zeit vergisst, dass es auch andere Orte gibt, wo man Informationen oder die gesuchte Hilfe finden kann.

Ähnlich ist IKEA. Der Laden bietet den für eine grosse Masse an Menschen passenden Mittelwert an Möbeln an, der von seiner Beschaffenheit und Design für alle kaufbar sein soll. Bei den Matrazen gibt es drei Typen, von denen einer schon passt. Meistens kann man das Gefundene gleich mitnehmen und benutzen. Es ist so bequem, wir haben inzwischen vergessen - oder verlernt, auch bei anderen Möbelhäusern - oder viel schlimmer, bei spezialisierten Geschäften für Matratzen vorbei zu schauen und hatten so gar keine Chance - und kein Interesse oder keine Zeit mehr, etwas besseres als das von IKEA zu finden.


Weiter drüber nachgedacht.

Ich denke, die LLMisierung unserer Welt ist schon viel mehr fortgeschritten als wir es wahrhaben wollen.

In meiner Heimatstadt gab es lange Zeit spezialisierte Läden in der ganzen Stadt. Sicher nicht in der Konzentration, wie in der Stadt der Schwiegereltern heute, eher waren sie über das ganze Stadtgebiet verteilt, aber es gab sie. In der Zeit vor der Wende und in den 90ern, 2000ern noch. Dann setzte die Implementierung von generalisierten Geschäften auf der Grünen Wiese ein, was die kleinen Läden in der Stadt - zusammen mit anderen Entwicklungen wie steigende Mieten, keine Nachfolger-Inhaber etc. - in den Ruin trieb zum Aufgeben brachte.

An diese Effizientisierung der Konsumwelt haben wir uns schnell gewöhnt. Es war auf einmal so bequem geworden, etwas passendes in einem der Supermärkte, Bauhäuser - letzten Endes auch Möbelhäuser zu finden, dass wir verlernt haben, auf die kleinen, spezialisierten Geschäfte zu achten.

Dass dieses Verhalten mit einem höheren Ressourcenverbrauch - schliesslich mussten wir mit dem Auto auf die Grüne Wiese fahren und die Güter selbst nach Hause transportieren, die neuen Geschäfte mussten gebaut und mit Strassen, Energie und Wasser versorgt werden - nahmen wir als Gesellschaft gern in Kauf oder haben es schlichtweg nicht beachtet.

Heute übertragen wir dieses gelernte Verhalten in das Internet. Ein LLM zu verwenden ist so viel einfacher als nach den richtigen Antworten selbst zu suchen. Sogar Suchmaschinen springen auf diesen Zug auf und die einzelnen Seiten werden dadurch nicht mehr sichtbar. Der höhere Ressourcenverbrauch wird zwar sichtbar gemacht - aber wen kümmert das, wenn es so bequem ist.

Ich lasse diese halbgaren Gedanken mal so stehen.

Es könnte ja noch viel weiter gehen:

  • Das Verlorengehen der Serendipität (im realen Leben und hier im Internet).
  • Die Angleichung des Geschmacks der Massen
  • Dass es Menschen gibt, deren Geschmack nicht von IKEA getroffen wird.
  • Die Umzugstauglichkeit von IKEA-Möbeln oder die Übertragbarkeit von LLM-Hilfen auf andere Bereiche.
  • Das Absterben der Neugier der Menschen im Allgemeinen.
  • Das sich nicht mehr Zeit nehmen oder nicht mehr Zeit haben.

Wohin jetzt?

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